Felsen, Tiere, Emotionen 

Der heutige Tag ist eindeutiger Anwärter auf „emotionalster Segeltag aller Zeiten“, nur in Konkurrenz mit dem Tag, an dem ich nach der Biskaya-Überquerung in Viveiro angekommen bin. 

Seitdem ich letztes Jahr in Spanien angekommen bin, ist die Gefahr der Begegnung mit den falschen Orcas ein Teil meiner Lebensrealität geworden. Ich kenne mehr als einen Menschen persönlich, dessen Boot das Ruder an die Orcas abgegeben hat. Ich habe bereits eine Interaktion live am Funk mitverfolgt. Der heutige Streckenabschnitt führt direkt durch die heiße Zone, in der dieses Jahr schon weit über 20 dieser Interaktionen zwischen Schwertwalen und Booten stattgefunden haben und es täglich mehr werden. 

Dank der herausragenden Arbeit von Rui und Renaud rund um orcas.pt fühle ich mich eigentlich gewappnet: im flachen Wasser bleiben (<20m Tiefe) und im Falle eines Angriffs Hackengas, Hebel on the Table und ab ins richtig flache Wasser. Weil’s sonst nicht lustig wäre, liegen auf der Strecke die Almadrabas, also die Thunfisch-Fangeinrichtungen. Diese reichen zum Teil bis sehr nah an den Strand und so muss man sich entscheiden, tiefes Wasser mit Orcas oder potenzielle Strandung? 

Wut 

Ich laufe mit dem ersten Tageslicht aus und bin wütend. Auf den Marinero, der die Leine zu früh losgeworfen hat. Auf den Wind, der sich nicht an seine Vorhersage hält. Auf Raymarine, weil sie so armselige Stecker bauen und ich kein AIS auf dem Plotter angezeigt bekomme. Am wütendsten bin ich allerdings auf die Orcas, denn eigentlich sollte es einfach nur ein wahnsinnig positives Erlebnis für jemanden (mich!) sein, das erste Mal durch die Straße von Gibraltar zu segeln und nicht geprägt sein durch Unsicherheit. Dumme Viecher. Dabei habe ICH denen doch gar nichts getan. Wegen denen musste ich meine Fahrten so legen, wie ich sie eben gelegt habe. Weil da so ein paar Schwertwale nicht mehr alle Tassen im Schrank haben, konnte ich mir keine Pferde angucken und keinen Sherry verkosten. Warum trifft mich das denn? Habe ich das verdient?! 

Sonnenaufgang in Cadíz

Sorge 

Vor mich hin schimpfend schippere an der spanischen Küste entlang. Cádiz liegt im Kielwasser, vor mir steht das erste der Thunfischnetze in Höhe von Conil de la Frontera. Zum Glück ist das Wetter nun mittlerweile auch gut mit Sonnenschein und flachem Wasser, was mich hoffen lässt, dass ich das Netz gut umfahren werde können. 

Selbstverständlich halte ich Funkwache auf Kanal 16 und just in dem Moment als ich nach dem Cabo Roche scharf links abbiege, um weiterhin auf der 20m Linie zu bleiben, kommt über den Ether eine Dringlichkeitsmeldung herein: 

Pan Pan – Pan Pan – Pan Pan

Es spricht das Segelboot Snaaroya und berichtet, dass es aktuell von Orcas angegriffen wird und die Steuerfähigkeit verloren hat. 

Ich höre das Boot “loud and clear”, sie sind also nah. Es wäre jetzt RICHTIG GUT eine funktionierende AIS-Anzeige auf dem Plotter zu haben. Internet funktioniert zumindest, also mal bei Vesselfinder nachgeguckt.  

FUCK. Die sind direkt auf meiner Höhe, ca. 16 Seemeilen entfernt. Das ist nicht gerade “hier”, aber auch nicht “nicht hier”. Ich fühle mit der Crew des Bootes. Wenn ich mir vorstelle mir, wie es wäre, würde das jetzt mir, hier auf der Robulla passieren, habe ich Tränen in den Augen. Nein, das stimmt nicht. Ich weine, weil die Emotionen in mir so stark sind. Weil es mir im Herzen so weh tut, mit dieser Crew mitzufühlen und gleichzeitig bedeutet es für mich, dass die Orcas eben nicht bei mir sind. 

Darf ich mich darüber freuen? Warum werde ich jetzt in meinen Augen zum schlechten Menschen, der sich über das Leid anderer freut? Ich möchte dieser Mensch nicht sein. Dennoch kann ich das Gefühl nicht unterdrücken. 

Ihr fiesen Orcas macht das mit mir! 

Kurz darauf passiere ich Trafalgar. Ein historisch relevanter Ort. Ein Erlebnis für sich. Ich passiere auf kürzester Distanz vom Festland, zwischen zwei Untiefen. Auf manchen Seekarten sind hier “Eddys” eingezeichnet, also sehr turbulentes Wasser. Wieder wird meine Route bestimmt durch diese Meeressäuger.  

Vor mir türmt sich eine See auf, die ich eher als “Brandung” bezeichnen würde. Ich kontrolliere nonstop Plotter, Papierkarte und die Tracks anderer Boote aus den letzten Tagen und vergleiche mit der Realität, die ich hier vorfinde. Das Mittelmeer saugt kontinuierlich Wasser aus dem Atlantik, und das bekommt man hier schon einmal zu spüren. 

Der Leuchtturm von Trafalgar

Erleichterung 

Ich komme heil an Trafalgar vorbei und auch das französische Boot, das mich den gesamten Tag schon begleitete, hat diesen Abschnitt unseres “Orca Gauntlets” gemeistert.  

Zwischendurch erfreue ich mich an meinem Lieblingsthema der gesamten Reise: Wie krass Blau ist das Wasser hier! Ich liebe das Wasser und die Tatsache, dass es zwischen transparent und schwarz einfach alle Schattierungen annehmen kann. 

Aber jetzt, Konzentration! Vor uns liegt das nächste Netz in Barbate. Gefühlt fahre ich eh schon den ganzen Tag am Strand entlang, und so eben auch hier. 

Das Thunfischnetz vor Barbate

Geschafft! 

Die Landschaft verändert sich. Zwischendurch denke ich mir, hier könnte ich auch ankern. Aber ich will durch, vorbei an Tarifa und in die sichere Marina in La Linea. Ich möchte all diese schlechten Gefühle hinter mir lassen und mit jedem Meter, dem ich dem letzten Netz in Tarifa näherkomme, komme ich auch diesem Ziel näher. 

Die letzte Kardinale bevor es nach Tarifa geht

Kurz vor Tarifa kommt Wind auf und Robulla wird endlich wieder vom Motor- zum Segelboot.  

Freude 

Schon seit einiger Zeit sehe ich Afrika. 

AFRIKA! Ein fucking anderer Kontinent! Da drüben! Von meinem Segelboot aus! WIE GEIL IST DAS DENN?! 

Vorne Europa, im Hintergrund Afrika

Mittlerweile fühle ich mich auch relativ sicher, was Orcas angeht, schließlich spielen die noch mit den Belgiern.  Der Wind bläst mit ordentlicher Stärke von hinten und mein Boot rennt.  

Darauf darf man schon einmal anstoßen!

Schließlich kommt der Moment: Ich segle an Tarifa vorbei. Die engste Stelle zwischen Europa und Afrika. Zwischen zwei Kontinenten! In meiner kleinen Nussschale! 

Was für ein herausragendes Gefühl! Ich habe nicht nur die Orcas endlich hinter mir gelassen, ich bin jetzt da durch! Ich bin in der Straße von Gibraltar und somit gleich im Mittelmeer! Wieder fließen die Tränen. Weil ich erleichtert bin und weil ich stolz auf mich bin und weil ich das Ganze auch immer noch nicht so ganz realisieren kann. 

Zum Abschluss darf ich dann noch so richtig geil im ausgebaumten Schmetterling plus extra Strömung nach La Linea rasen. Mein Boot und ich funktionieren gemeinsam. Der Kater liegt entspannt neben mir im Cockpit. 

Und weil der Tag noch nicht genug Emotionen geboten hat, kommt, während wir zwischen den Ankerliegern der Reede vor Gibraltar vorbei rasen, noch als Begrüßungskomitee des Mittelmeers eine Schule Delfine vorbei. 

Entspannung 

Nach dem Einklarieren in La Linea beziehe ich mit Robulla meinen Liegeplatz, bringe meine Dicke in Ordnung und mache mir ein Bier auf. Und kann es nicht trinken, weil ich erst noch ganz kurz all diese vielen Emotionen, die ich den ganzen Tag über nur mit mir und dem Kater teilen konnte, in Tränen verwandeln muss, denn sonst würden sie mich sprengen. Vor mir steht der große Felsen von Gibraltar und damit verbunden ein ganz neues Segelrevier und neue Abenteuer. Immer noch schmecke ich allerdings den bitteren Nachgeschmack der eben erst erlebten Abschiede und ich spüre in meinem Körper, wie anstrengend die Auseinandersetzung mit der Schwertwal-Thematik war. 

Anlegerbier mit Gibraltar im Blick

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Eine Antwort zu „Felsen, Tiere, Emotionen “

  1. Avatar von Volker Wienke

    Hallo Saskia
    Du schreibst, in der Straße von Gibraltar hast du die Orcas hinter dir gelassen, Entspannung. Das dachte ich auch und habe in La Linea erstmal meine Waffe entladen und in den Safe getan, ebenso Pinger und meine anderen Abwehrmaßnahmen weggeräumt. Ich hatte auch keine vermeldeten Orca-Angriffe auf orcaiberica gefunden. Allerdings gibt es inzwischen gemeldete Angriffe bis Marbella. Also sei weiterhin wachsam.
    schönen Gruß
    Volker

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