29 Stunden Ocean Racing

Oieras

Bevor ich mich jetzt weiter damit quäle, einen Bericht zu schreiben, auf den ich gar keinen Bock habe und zwischen Blog und Realität noch mehr Abstand aufkommen lasse, mache ich es kurz: die Marina in Oieras ist nett und günstig, mit Lissabon bin ich überhaupt nicht warmgeworden, Cascais war irgendwie künstlich. Fertig. Weiter.

Ostern steht vor der Tür und in meiner Zukunft sah ich mich an diesen freien Tagen bei geilstem Wetter irgendwo vollkommen abchillen. Dieses „irgendwo“ sollte aber schon unten an der Algarve sein. Die Windvorhersage war allerdings schwierig und sagte diverse Windrichtungen und -stärken vor. Ich hatte schon relativ sicher entschieden, dass ich Donnerstag nach der Arbeit loswollte, aber das Ziel war noch unklar. Sines fiel eher raus, weil dort wäre ich zu unchristlicher Uhrzeit angekommen und ziemlich sicher nicht am nächsten Tag weiter. Dann wäre ich aber auch erst Sonntag/Montag an der Algarve angekommen und das wollte ich ja nun eben nicht. Sesimbra war auch nicht wirklich attraktiv. Ankern in der direkt nach dem Cabo Sao Vincente bei Sagres fiel aufgrund des vorhergesagten Windes (und Wellen) auch aus. Also, Lagos it is.

Meine Routingsoftware hat eine Dauer von 1 Tag und 3,8 Stunden ausgerechnet und ich hasse sie, weil sie mal wieder ziemlich genau recht hatte.

Wechselhafte Bedingungen

Losgefahren sind wir bei Träumchen Wetter und herausragenden Segelbedingungen um kurz nach 16 Uhr deutscher Zeit. Blieb allerdings nicht lange so und so musste ich immer wieder den Motor zur Unterstützung mitlaufen lassen. Während man nämlich auf anderen Gewässern auch einfach mit wenig Fahrt und wenig Druck in den Segeln unterwegs sein kann, hat dieser Atlantik die dumme Angewohnheit, dann immer noch 2 Meter Wellen anlaufen zu lassen. Bei wenig Winddruck im Tuch sorgt das für die größte Folter aller Bootsbesitzer: Ständig umschlagende Segel, nonstop hin- und her schwingende Großbäume und somit HASS. Deshalb Augen zu und Motor an.

Noch vor Sonnenuntergang merkte ich, dass an einem der Karren, in die die Latten vom Großsegel eingefädelt werden und diese am Mast führen, der Bolzen fehlte, der für die Verbindung von Lattenhalterung und Karren verantwortlich ist. Nun gut, ein beherzter Griff in die Eisenwarengrabbelkiste brachte verschiedene Kandidaten zum Vorschein, die als Ersatzteil dienen könnten. Tatsächlich passte auch einer. War zwar kein Bolzen, sondern nur eine Schraube, sie würde aber sicherlich für den einen Schlag ihren Aushilfs-Job erfüllen können.

Gute Nacht

Die Nacht verlief dann vollkommen ereignislos und wie andere Nächte vorher auch. Der Himmel war klar und der Vollmond sorgte für amtliche Helligkeit. Irgendwann wird auch der Kater das mit dem 20-minütigen Schlafrhythmus verstehen. Hoffe ich. So aktuell ist das nämlich erschöpfend, wenn er sich jedes Mal erst noch wieder eine komfortable Position auf meinem Kopf suchen muss. Dafür guckt er aber auch so süß, wenn ich nach dem Ausguckgehen unter Deck begebe. Sein Blick scheint zu sagen „können wir denn bitte jetzt wirklich richtig in echt schlafen?“.

Am nächsten Morgen ging es tatsächlich zunächst mal segelnd weiter. Ich freute mich enorm auf einen Kaffee. Leider beschloss der Atlantik, dass der mit heißem Kaffeesatz gefüllte Kaffeefilter gar nicht auf der Thermoskanne sitzen muss, sondern auch richtig gut durchs Boot fliegen kann. Also nur 1,5 Tassen Kaffee für Saskia. Weniger Koffein soll ja angeblich auch nicht ungesund sein.

Um den Koffeinmangel zu kompensieren, verlängerte ich meinen Schlaf-Wach-Rhythmus und wurde kurz darauf aus einer der Schlafphasen durch einen Alarm meines Autopiloten geweckt: Antrieb blockiert, Autopilot ausgeschaltet. FUCK! In meinem Kopf listete ich schnell mögliche Gründe auf und der oberste, prominenteste und eigentlich schon entschiedene lautete: Orcas. Ich zögerte noch kurz, ob ich gleich schon das Katzenstreu zur Abwehr rausholen soll, oder doch erstmal gucke. Gucken gewann und so konnte ich dann das Problem sehr simpel lösen. Der Autopilot hatte sich die Feststellschraube des Steuerrads festgedreht.

Da geht dir die Düse!

Wir näherten uns nun dem Cabo des Sao Vincente, welches MichaelK aus dem Segeln-Forum beschrieb mit „die Mutter aller Kapeffekte“ und holy shit, jo! In wenigen Minuten ging es von motorsegeln zu 2. Reff. Also von 7 Knoten wahrer Wind, auf 28 Knoten. Scheinbaren Wind hatten wir sogar bis zu 33 Knoten auf der Uhr. War ein bisschen spannend. Insbesondere wenn mein doch tendenziell hochbordiges Dickerchen irgendwann die Fußreling durchs Wasser zieht denkt man möglicherweise schon mal nach, wie man denn jetzt noch das dritte Reff reinkriegt. Natürlich habe ich mich in genau diesem Moment dafür gehasst, dass ich die Großschotführung noch nicht verändert habe. Zu diesem Zeitpunkt wäre es überaus praktisch gewesen, hätte man mit einer besseren Untersetzung die Großschot aktiver fahren können.

Nach nur wenigen Stunden waren wir um das Kap herum und der Wind hatte sich auf angenehmere 15-18 Knoten True eingependelt. Es wurde also Zeit, ein Reff aus dem Großsegel zu nehmen und während ich das tat, hörte ich dieses super unangenehme Geräusch von reißendem Stoff. Sehen konnte ich allerdings nichts, werde ich mir wohl eingebildet haben. Sind ja genug Geräusche vorhanden bei so einem segelnden Boot.

Long story short: Kreuzen gegen Welle, nerv nerv, jede Menge blaue Flecken, die Erkenntnis, dringend in neue Segelhandschuhe investieren zu müssen. Als ich dann das Groß irgendwann ganz ausreffte, fand ich auch die Ursache für das eine merkwürdige Geräusch vom Morgen: kurz unterhalb des ersten Reffs war ein Riss im gerade einmal zwei Jahre alten Segel. Tüdüm. Gut, fahren wir halt gerefft weiter. Praktischerweise haben wir eh nächste Woche einen Termin beim Segelmacher.

Trotz der widrigen Umstände näherten wir uns dennoch Lagos und am Abend wurde der Wind weniger, so dass ich die Genua einrollen und mit Motorunterstützung weiterfahren wollte. Der Moment für Fuckup Nummer 4: Überläufer auf der Trommel der Rollanlage, raus geht noch, rein nicht mehr ganz. Lass ich das bisschen Genua jetzt noch stehen und fahre so weiter? Ein kaputtes Segel pro Schlag fand ich allerdings genug. Also versuchte ich, bei noch immer ordentlicher Welle den Überläufer manuell zu lösen. Keine Chance. Dritte Option: Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt. Reffleine auf die Winsch und gib ihm. Zack, geht.

Reicht dann auch, ne

Obwohl ich alle diese Problemchen lösen konnte, und sie für sich allein auch ehrlich gesagt nicht die Welt bedeuten, zerrt das enorm an meinen Kräften. In diesem Moment hatte ich die Schnauze voll. Vom Atlantik, von der kack Welle, vom Boot, vom Segeln. Ich habe kurz darüber nachgedacht, einfach einen festen Liegeplatz in Portimao zu buchen und meinen Rückflug vom Ende April geplanten Deutschlandaufenthalt zu stornieren. In solchen Augenblicken mache ich, was jeder vernünftige Tierbesitzer tun würde: Ich habe mein Gesicht im Kater vergraben. Diverse Studien beweisen, dass Tiere zu streicheln Stress reduziert und Depressionen lindert und ich nutze dieses Heilmittel ganz intensiv. Ich habe dann noch ein paar Nachrichten mit lieben Menschen geschrieben und als ich meine Liste von Problem aufschrieb dachte ich, irgendwie fühlt sich das hier an wie ein Schlag im Ocean Race an. Ich macgyvere mich um die Welt und die Welt versucht mich daran zu hindern. Nicht mit mir! Zumindest bei dem Gedanken musste ich auch schon wieder schmunzeln. Selbst wenn der Vergleich mit dem harten Socken vom Ocean Race überheblich wirken mag: Ich meistere hier auch ständig Scheiss, mit dem ich vorher so noch nicht konfrontiert worden war und das auch noch meisten ziemlich lässig und auch noch halbwegs professionell! Schlussendlich kam noch eine Schule Delphine mit Nachwuchs vorbei, der sich in der Bugwelle von Robulla vor dem Schlafengehen austoben durfte und dann ging es mir auch wieder gut.

Lagos bot mir im Sonnenuntergang einen prächtigen Anblick, ich freue mich schon darauf am nächsten Tag die Landschaft per pedes zu erkunden. Die Hafeneinfahrt ist witzig. Gefühlt fährt man an den Strand und dann scharf rechts, in den Fluss. Das Boot am „welcome pier“ festgetüdelt, Anleger in Form von Bier und Rum getrunken und dann auch ganz flott ab in die Koje.

Du möchtest zukünftig sofort über neue Beiträge Informiert werden? Dann melde dich jetzt zum Newsletter an:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.