Abgefahren

Jasmin, Mohn und alte Erinnerungen

Der Duft des Jasmins liegt schwer in der Luft. So schwer, dass ich beizeiten glaube, ihn schmecken zu können. Er begleitet mich auf meinem Spaziergang über die Inseln des Friouls. Dieser Archipel größerer Steine, die Marseille vorgelagert sind und sich für kurze Ausflüge bestens anbieten. Heute erkunde ich die Buchten, in denen ich vor anderthalb Jahren vor Anker lag, zu Fuß. Um mich herum blüht es. Vom zarten Weiß des Jasmin bis zum knalligen Rot des Mohns, an Farbklecksen auf den sonst eher kahlen Felsen mangelt es nicht. Von den Klippen aus kann ich sehen, wo ich entlang gesegelt bin.

Wiedersehen mit Robulla

Vor zwei Tagen habe ich abgelegt in La Mède, habe den Étang de Berre verlassen. Über 16 Monate stand Robulla dort nun an Land. Nur kurz habe ich sie besucht und diese Besuche waren irgendwie auch alle nur doof. Pünktlich zu unserem sechsten Jahrestag aber sind wir wieder in See gestochen. Ein wenig schwer fiel es mir schon. Wieder ein Abschied. Zugegeben, in der Zeit zuhause habe ich mich schon stark an den dort vorhandenen Komfort gewöhnt. Waschmaschine in der Wohnung, Badewanne, mein schönes Zuhause einfach.

Nun liegt mein anderes Zuhause etwas allein im großen Hafenbecken des Port de Frioul. Im Sommer ist es hier bestimmt brechend voll. Heute sind scheinbar alle Segler für Regatten rekrutiert worden. Mindestens drei Veranstaltungen erahne ich. Kein Wunder, in einem Land, in dem Opti-Segeln ebenso zum Sportunterricht in der Schule gehört, wie Fußball oder Turnen. Keines der Boote hier ist auf Hochglanz poliert. Guckt man aber genauer hin, dann steht da „NKE“ auf den Instrumenten und „Antal“ und „Harken“ auf der Deckshardware und die Segel sind schwarz oder man kann durchgucken. Da kann man schon mal neidisch werden.

Unfreundliche Begegnung der fliegenden Art

Ein „TONK“ reißt mich sehr unsanft aus meiner Kontemplation der Rade de Marseille. Dem Dröhnen in meinem Oberstübchen nach zu urteilen, muss mir gerade ein Stück Himmel auf ebenjenes gefallen sein. Vielleicht war es aber auch diese etwas wild wirkende Möwe, die just in diesem Moment erneut zum Angriff auf meinen Kopf ansetzt? Auf den Inseln macht sich der Frühling nämlich nicht nur durch das Blütenmeer bemerkbar, ein paar Spätzünder unter den Seevögeln hocken noch brütend auf ihren Eiern. Ich habe es gewagt, auf dem ausgewiesenen Spazierweg meinen Gedanken nachzugehen und bin dabei offensichtlich zu weit in die Komfortzone des Vogels eingedrungen. Andere Nister reagieren ähnlich empört.

Nun gut. Ich erweitere spontan meine Sprachkompetenzen noch um einen Basis-Satz Möwisch. So kann ich auf ihre „Verpiss dich oder es knallt“ Rufe mit entsprechenden Maßnahmen reagieren. Wie eine Irre mit dem Armen über dem Kopf rumfuchteln scheint wirksam zu sein. Schön, endlich kann ich mich mal wieder komplett zum Affen machen. Dabei hatte ich gedacht, dass mein dreifacher Rittberger am Tag meiner Abreise zum Boot bei dem kurzen Sprint zum Bus, der zu einer zerrissenen Hose und einem blutigen Knie geführt hat, eigentlich zumindest mal für einen oder gar zwei Monate reichen würde.

Zurück zum Hafen – mit Vorsicht

Sicherheitshalber trete ich den Rückweg zum Hafen an. Der Wind nimmt wieder zu und da ich morgens mit leicht naiver Einstellung die Badeleiter, nachdem ich sie am Tag zuvor zu ihrem eigenen Schutz vom Heck abgenommen hatte, wieder an ihrem Wohnort befestigt hatte, etwas Sorgen um deren Überleben. Robulla liegt nämlich vorne an Boje und mit dem Heck zum Steg. Leider bin ich scheinbar nicht so gut darin, die perfekte Einstellung zwischen „weit genug vom Steg weg, um bei auflandigem Wind diesen nicht zu berühren“ und „nah genug am Steg, um trocken an Land zu kommen“ zu finden.

Weil ich es gerade kann, baue ich kurzerhand die Ruckdämpfer in meine Hardcore-Festmacher und fummel auch sonst noch ein bisschen am Boot rum. Der Hafen füllt sich langsam, unter anderem mit einigen Regatta-Teilnehmern. Eine kleine X kommt mit Eieruhr im Spi in den Hafen. Die First, die neben mir festmachen möchte, fährt sich dann erstmal die Bojen-Leine in die Schraube. Da die Crews auf beiden Booten aus Menschen bestehen, die meine Kinder sein könnten, wird nirgends lange gefackelt. So schnell kannste gar nicht gucken, ist da einer im Mast und enttüdelt den Spi und ein anderer buchstäblich mit dem Messer zwischen den Zähnen im gerade mal 15°C kalten Wasser, um seine Schraube zu befreien.

Ein schöner Moment am Ende des Tages

Mir gefällt die Leichtigkeit, mit der die Crews mit ihren Booten umgehen. Beide Boote sind in doofen Situationen, aber nirgends wird geschrien. Alle arbeiten zügig, aber ohne Hektik und: in beiden Crews sind Frauen ganz selbstverständlicher und gleichberechtigter Bestandteil des Ganzen.

Mit dem wohlig-warmen Gefühl, dass es vielleicht doch noch Hoffnung für die Menschheit gibt, begebe ich mich unter Deck. Die Sonne ist inzwischen untergegangen, es wird frisch. Morgen geht es weiter, nach Osten.

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Eine Antwort zu „Abgefahren“

  1. Avatar von Andreas Moll
    Andreas Moll

    Hallo Saskia,
    ich habe Dich heute gegen 17:00 Uhr in Port Grimaud ein-und wieder ausfahren gesehen. Bei der Ausfahrt habe ich Dir noch von der Mole zugewunken. Jetzt sehe ich Dich vor St. Tropez liegen. Gab es für Dich keinen Platz in Port Grimaud?
    LG
    Andreas

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