Atlantik West nach Ost – Fazit

Dearest Gentlereader,

So eine Überführung scheint anstrengend zu sein. Zumindest hat es bei mir dazu geführt, dass ich jetzt über eine Woche auf der Couch mit Nickerchen verbracht habe. Vielleicht habe ich dabei die letzte Staffel „Bridgerton“ in einem durchgeguckt. Wer weiß das schon so genau?

Auf jeden Fall bin ich euch (vor allem aber mir) noch ein sauber reflektiertes Fazit schuldig. Lasst es uns also angehen.

What? Die Fakten

Was ist denn alles passiert?

  • Wir haben insgesamt rund 3.700 Seemeilen im Kielwasser gelassen. 2.500 von St Maarten nach Faial, 90 von Faial nach Terceira und 1.100 von Terceira bis Spanien/A Coruna.
  • Ich habe drei neue Inseln kennengelernt: St Maarten, Faial, Terceira.
  • Ich habe 50 40 (weil ich auch nicht rechnen kann) Nächte auf Balu verbracht, davon 14 im Hafen, 1 vor Anker und 25 auf See.
  • Ich habe 7 Psycho-Thriller, 7 Krimis und 3 Fantasy-Romane gelesen.
  • Ich habe 27 Haupt-Mahlzeiten mit insgesamt 74 Portionen geplant, dafür eingekauft und zubereitet (dazu kam noch die Proviantierung für Frühstück und Knabbereien).
  • Ich habe 2 Scopoderm-Seekrankheitspflaster benutzt.
  • Internet auf See gab es ca. 1,5 Std. pro Tag.
  • Bis auf die Nintendo Switch und den Großteil der Medikamente habe ich alles, was ich eingepackt habe, benutzt.
  • Wir haben ungezählte Delfine, portugiesische Galeeren und fliegende Fische (von letzteren ein halbes Dutzend tot an Bord), sowie 1 Meeresschildkröte, 4 Pottwale und null Orcas gesichtet.
  • Obwohl wir an ganzen 4 Tagen unsere Angel im Wasser hatten, haben wir null Fische gefangen 😉
  • Ich habe zwischen „Bikini und sonst nichts“ und „lange Unterwäsche, Zwischenschicht, Ölzeug, dicke Socken und eingewickelt in eine Decke“ Kleidung angehabt.

So What? Die Erkenntnisse

Was habe ich denn jetzt daraus gelernt?

  • Ich werde seekrank und das ist keine Schande. Dennoch gab es zunächst mal eine Kerbe im Ego.
  • Starlink ist bombastisch gut, weil man sich jederzeit einen frischen Wetterbericht holen kann. Die Einschränkung der Einschaltzeiten an Bord aufgrund des hohen Energieverbrauchs ist auch bombastisch gut, weil man mal nicht ständig mit neuen Benachrichtigungen auf dem Handy belästigt wird und man nicht stundenlang stumpf durch irgendwelche sozialen Medien scrollen kann.
  • Einen Watermaker zu haben macht vieles sehr viel einfacher.
  • Mir macht Lesen immer noch sehr viel Spaß.
  • Ungehetzt Zeit mit netten Menschen zu verbringen, macht mir Spaß.
  • Die paar Tage in der Karibik haben mir gar nicht so viel Lust darauf gemacht, dort mehr Zeit zu verbringen.
  • Im Gegensatz zu den Azoren, die meine Erwartungen mit dem kleinen Teil, den ich kennengelernt habe, mehr als übertroffen haben.
  • Eine Atlantiküberquerung ist sehr langweilig und gleichzeitig sehr anstrengend. Einfach nur zu existieren, erfordert auf einem sich konstant bewegendem Boot einen enormen Energieaufwand, wenn man dann auch noch Dinge tun möchte, wird es richtig anstrengend.
  • Segeln bleibt einfach nur Segeln, mit allem, was dazugehört.
  • Die Atlantiküberquerung einhand traue ich mir zu.
  • Proviantmeisterin zu sein war mehr Arbeit, als ich erwartet hatte. Ich bin dankbar für das, was ich dabei gelernt habe, nochmal würde ich es aber nicht machen wollen (obwohl ich es jetzt könnte).
  • Ausnahmsweise mal nicht allein die Verantwortung für alles, sondern ganz im Gegenteil eigentlich fast keine Verantwortung zu tragen ist viel befreiender gewesen, als ich es mir vorgestellt habe.

Now What? Die Konsequenzen

Mit Robulla werde ich vorerst nicht über den Atlantik in die Karibik gehen wollen, die Azoren habe ich aber vor „bald“ zu besuchen und auch die anderen Inseln zu erkunden.

Allerdings ist dieses „bald“ relativ, denn aus meinen gewonnenen Einsichten und Erkenntnissen hat sich für mich eine ganz wichtige Maßnahme ergeben: Robulla bleibt dieses Jahr an Land stehen.

Ich habe in den letzten zwei Jahren zu viele Jobs gehabt: Festanstellung in Vollzeit, nebenbei angefangen als Freelancerin zu arbeiten. Dazu noch das Boot refittet (also Wissen angeeignet, Arbeiten geplant und durchgeführt – allein), meine Törns geplant und durchgeführt (Häfen und Ankerbuchten recherchiert und organisiert, Wetter beobachtet und Routings gemacht und die Strecken dann abgesegelt – allein), meinen Haushalt an Bord und in Köln geführt (Putzen, waschen, einkaufen, kochen – allein). Weil das alles noch nicht genug ist, pflege ich auch noch diverse Social-Media-Kanäle, nehme für mehrere Monate Flüchtlinge aus der Ukraine bei mir auf, mache eine Ausbildung zum Systemischen Coach und hatte noch angefangen, den Sportseeschifferschein zu machen.

Im Winter, wo ich nicht am Boot arbeite, will ich dann meine Wohnung renovieren, den Keller ausmisten, verschiedene Webseiten-Projekte vorantreiben, intensiv Zeit mit meinen Freunden verbringen und ja eigentlich auch schon die Vorbereitungen für die nächste Segelsaison treffen.

An Bord Balus war all das nicht da und so habe ich, weil der Druck weg war, überhaupt erst merken können, wie viel ich mir zugemutet habe und wie sehr es mich belastet hat.

Ich habe in den letzten Jahren immer wieder gesagt „ich muss gar nichts“. Ich habe während der Zeit auf dem Atlantik erkannt, dass ich allerdings kürzertreten sollte. Ich bin ausgebrannt, meine Energiereserven sind aufgebracht und ich kann nicht mehr alle diese Jobs machen. Ich möchte mich auf einige wenige Aufgaben konzentrieren und ich will auch mal wieder einen Sommer in Köln verbringen. Immer nur bei schlechtem Wetter hier zu sein ist auch nicht gut für die Moral.

Ich will wieder die Zeit, Ruhe und Kraft haben, ein Buch zu lesen. Ich will die Treffen mit meinen Freunden nicht mehrere Wochen im Voraus planen und dann innerhalb weniger Tage alle durchgetaktet „abfrühstücken“.

Ja, ich habe mir das selbst eingebrockt. Ist nicht schlimm. Ich habe in den letzten Jahren unbeschreiblich viel gelernt. Über Bootstechnik, über das Segeln, über selbstständiges Arbeiten und insbesondere über mich. Nun ziehe ich daraus meine Konsequenzen und gönne mir, ganz ohne schlechtes Gewissen, eine Pause.

PS: Solltet ihr mal spontan eine halbwegs kompetente Crew mit ausgeprägter Links-Rechts-/Ost-West-/Steuerbord-Backbord-Schwäche suchen, ich bin kurzfristig verfügbar.

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