Es gab eine Zeit, ein anderes Leben, in der mich beim Wetter ausschließlich interessierte, wie warm es wird und ob es regnet. Oder schneit. In der Regel hat mich das auch nur einmal täglich wirklich beschäftigt, nämlich morgens bei der Auswahl der passenden Kleidung.
Seitdem ich mit diesem Segeln angefangen habe, nimmt Wetter eine regelrecht prominente Position in meinem Alltag ein. Dabei geht es, wenig überraschend, zunächst um den Wind. Wie stark oder schwach weht er, aus welcher Richtung, wie konstant ist das. Als segelndes Volk ist man recht anspruchsvoll und hätte am liebsten den Wind von leicht schräg hinten.
Wunsch-Wind
Von direkt vorne geht gar nicht, so funktionieren Segel leider nicht. Die benötigen immer einen Windeinfallwinkel der bei den meisten Booten über 30°-35° liegen sollte. Ganz genau von hinten ist auch nur dann ok, wenn der Wind nicht zu schwach ist. Weil dann würde er vom auftretenden Fahrtwind zu sehr aufgehoben werden.
Natürlich möchte man aber auch insgesamt keinen zu starken Wind, weil das ist dann nicht nur ungemütlich, sondern belastet Boot und Crew massiv und wird irgendwann, in Kombination mit der Welle, auch gefährlich.
Wenn man entlang der Barfußroute segelt, passiert es gerne mal, dass aufgrund einer ungünstigen Wetterlage einige Boot länger als es ihnen lieb ist, in einem Hafen ausharren müssen, bevor es weitergeht.
So ging es uns nun auch auf den Azoren. Wir wollten die Balu gerne ans Festland segeln, weil allerdings das Azorenhoch plötzlich vor Irland saß und das Islandtief auf den Azoren Urlaub machte, ging das zunächst nicht.
Rats-Bildung
Weil man im Hafen rumhängt, quatscht man natürlich auch mit den anderen Booten über das eine Thema, was alle vereint: Das Wetter. Sobald das passiert, bilden sich ganz schnell Wetter-Räte. Inzwischen gibt es eine bunte Vielzahl an, mal mehr, mal weniger günstigen Wetter-Tools: LuckGrib, SquidX, PredictWind, SeaMan, SailGrib, Windy, Windfinder, qtVlm und vermutlich noch viele mehr. Die geben dann etwas mehr Auskunft, als nur Temperatur und Niederschlag und viele ermöglichen es einem auch, anhand der Stammdaten des Bootes eine optimale Route auszurechnen.
Bei den Wetter-Räten werden nun die Köpfe über die verschiedenen Tools zusammengesteckt, Daten vergleichen, Erkenntnisse aus den Daten ausgetauscht und selbstverständlich ganz viel diskutiert. Irgendwann passiert dann ein weiteres interessantes Phänomen, nämlich dann, wenn jemand Stellung bezieht. Einer sagt „Ich fahre!“ und in den darauffolgenden Minuten, manchmal auch Stunden, fangen alle, die bisher anderer Meinung waren an, auch Möglichkeiten zur Abfahrt zu sehen. „Ja, die 34 Knoten kommen von hinten, da hatten wir schon Schlimmeres“ oder „Das Wettermodell ist eh ziemlich ungenau“ sind typische Sätze, die man von denen hört, die sich selbst versuchen von einer möglichen Abfahrt zu überzeugen. Das funktioniert natürlich auch in die andere Richtung mit „wir bleiben hier!“.
Jein
So kam es, dass auch wir auf Terceira an diesem Prozess teilnahmen und unsere Entscheidungsfindung klang wie ein Hip-Hop-Song aus den 90ern: Ja, nein, ich mein, jein!
Am Ende des Tages haben wir uns offensichtlich doch dazu entschlossen, loszufahren. Auch weil ein 8 Tages-Wetterbericht am Ende des Tages immer noch ein bisschen Wetter-Raten ist.
Nun düsen wir die letzten Seemeilen auf A Coruna zu, ganz ohne die angedrohten 34 Knoten Wind und 2,7m hohen Wellen.
Damit, und ganz unpompös, beende ich meine erste Atlantik-Überquerung nach rund 3.500 Seemeilen und Dieter und die Balu kreuzen ihre Kiellinie von August 2022.
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